Ein Umzug beginnt selten mit Euphorie. Stattdessen meist mit Kartons, Chaos und der Frage, wie lange es dauern wird, bis man sich an dem neuen Ort wie zu Hause fühlt. Was wir aus dem Privaten kennen, wenn wir gewohnte Räume verlassen, gilt auch für Institutionen. Besonders dann, wenn diese plötzlich in einem Interim landen: ein Ort, der vorübergehend bezogen und genutzt wird.
Viele kulturelle Institutionen wie Museen, Opernhäuser oder Theater sind seit Jahrzehnten in denselben Gebäuden zu Hause. Oft handelt es sich dabei um Bauten der Nachkriegszeit, die mit der Zeit baufällig geworden sind. Manche lassen sich sanieren, andere müssen geschlossen oder abgerissen werden. Um während der Zeit des Um- oder Neubaus ihr kulturelles Programm fortsetzen zu können, benötigen die Institutionen einen geeigneten Übergangsort, ein sogenanntes Interim.
Da die Suche nach einem solchen Ort meist unter Zeitdruck erfolgt, bleibt meist kaum Raum für eine sorgfältige Auswahl oder hohe Ansprüche, sodass viele Institutionen Kompromisse eingehen müssen. Hinzu kommt, dass kulturelle Einrichtungen in der Regel viel Platz benötigen. Viele Interimsräume entstehen daher in ehemals industriell genutzten Gegenden, die zwar meist außerhalb des Stadtzentrums liegen, dafür aber ausreichend Fläche bieten. Aber auch leerstehende Kirchen, Kaufhäuser oder andere ungenutzte Gebäude kommen als mögliche Standorte infrage.
Wie lange eine Institution im Interim verbleibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel vom Umfang und der Komplexität der Renovierung, von unvorhersehbaren Bauverzögerungen, bürokratischen Hürden oder externen Einflüssen wie politischen Entscheidungen oder der Verfügbarkeit von Fördermitteln.
Da Menschen sich in vertrauten Umgebungen sicher fühlen, wundert es kaum, dass ein Umzug zunächst meist ein Gefühl von Ablehnung und Skepsis auslöst. Auch kulturelle Institutionen reagieren auf einen Umzug zu Beginn meist mit Zurückhaltung. Künstlerische Bedenken, etwa die Frage, ob sich die gewohnte Qualität der Arbeit an einem provisorischen Ort aufrechterhalten lässt, sind nachvollziehbar. Hinzu kommen finanzielle Sorgen, beispielsweise wegen unvorhersehbarer Sanierungskosten oder der Unsicherheit darüber, wie lange der Aufenthalt im Interimsort dauern wird. Nicht selten werden Rückzugstermine an den ursprünglichen Standort immer wieder hinausgezögert, wegen langwieriger Genehmigungsverfahren oder Bauverzögerungen.
Anfängliche Bedenken bezüglich eines Interims sind daher nachvollziehbar. Gleichzeitig zeigt sich jedoch häufig, dass gerade die Akzeptanz des Ungewohnten neue Perspektiven eröffnet. Wer sich auf den Wandel einlässt, erkennt in der Veränderung nicht nur Einschränkungen, sondern auch Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Deshalb lohnt es sich, trotz aller verständlichen Vorbehalte den Blick nach einem Umzug nach vorne zu richten und den Interimsort als vorübergehendes Zuhause anzunehmen.
Die Annahme des Interimsorts als vorübergehender Standort ist nur der erste von vielen Schritten. Funktional wird ein solcher Ort erst, wenn sich die Institution aktiv mit den veränderten Gegebenheiten und Rahmenbedingungen auseinandersetzt, etwa mit dem sozialen und räumlichen Umfeld. Befindet sich der Interimsort beispielsweise in einem Industriegebiet, unterscheidet sich dieses meist deutlich von der gewohnten städtischen Infrastruktur. Die unmittelbaren Nachbar:innen sind dann nicht mehr Cafés, Wohnhäuser oder Einkaufspassagen, sondern Autohäuser, Firmengelände, Fabriken oder Schrebergärten. Das bedeutet häufig weniger Laufpublikum und den Verlust gewachsener lokaler Netzwerke.
Auch die baulichen Gegebenheiten können eine Herausforderung darstellen. Interimsorte sind in der Regel nicht für jene Zwecke gebaut, die sie nun erfüllen sollen. Um sich einen solchen Raum sinnvoll anzueignen, braucht es daher Kreativität, Flexibilität, Spontaneität und vor allem den Mut zur Unvollkommenheit. Wer hingegen versucht, das bestehende Programm unverändert zu übertragen, ohne auf die Eigenheiten des neuen Ortes einzugehen, verschenkt wertvolles Potenzial. Oft ist eine solche Übertragung ohnehin nicht möglich. Gründe dafür können technische Einschränkungen oder akustische Bedingungen sein.
Stattdessen sollte man sich fragen: Welche Architektur bringt dieser Ort mit, und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus? Leerstehende Kirchen stellen beispielsweise durch ihre hallende Akustik neue klangliche Herausforderungen dar, während Industriehallen mit ihrem rohen Baustil, hohen Decken und weiten Räumen eine ganz andere Atmosphäre schaffen als klassische Theatersäle. Vielleicht inspiriert die Architektur dazu, Publikum und Bühne anders als gewohnt anzuordnen oder mit der Lichttechnik ganz neue Wege zu gehen. Da jeder Interimsort seine eigenen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen mit sich bringt, muss jede Institution individuell entscheiden, wie sie den jeweiligen Ort kreativ nutzen möchte.
Die Andersartigkeit eines Interims bietet dabei eine wertvolle Gelegenheit, neue Impulse für das eigene Haus zu gewinnen. Ungewöhnliche und unkonventionelle Räume entfalten zudem häufig eine besondere Anziehungskraft, die neue Ausdrucksformen ermöglicht, die am bisherigen festen Standort vielleicht nicht realisierbar waren. Darin liegt auch die Chance, neue Zielgruppen zu erschließen, insbesondere solche, die das Ungewöhnliche und Überraschende schätzen. In jedem Fall zeigt sich, dass im Interim Raum zum Experimentieren, Erproben, Weiterdenken und spielerischen Gestalten entsteht.
Ein Interim entfaltet sein volles Potenzial nur, wenn die Institution es als temporäres Zuhause ernst nimmt. Wird es hingegen lediglich als notwendiges Übel betrachtet, überträgt sich diese Geringschätzung schnell auf die Wahrnehmung der Besucher:innen.
Nimmt man sich hingegen bewusst Zeit, das Interim zu erkunden - etwa indem man sich mit seinem kulturellen und historischen Kontext auseinandersetzt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse aktiv in die eigene Arbeit einfließen lässt -, bietet sich die Chance, den Ort nicht nur funktional zu nutzen, sondern ihm auch sichtbar Wertschätzung entgegenzubringen. Wenn das Interim und sein jeweiliger Kontext Teil der institutionellen Erzählung wird, signalisiert das nach außen, dass die zeitweilige Verortung akzeptiert und ernst genommen wird.
Zeigt eine Institution Neugier und Offenheit gegenüber dem neuen Ort und lädt das Publikum zu einer gemeinsamen Entdeckungsreise ein, kann sich diese Begeisterung auf die Besucher:innen übertragen. So wird das Interim zu einem lebendigen Raum des Austauschs und der kreativen Entwicklung.
Viele kulturelle Institutionen geraten in eine Identitätskrise, wenn sie in ein Interim umziehen, insbesondere dann, wenn der bisherige Standort maßgeblich zur Markenbildung beigetragen hat. Das Problem dabei ist, dass sich der alte Ort nicht einfach auf den neuen übertragen lässt. Mit dem Umzug geht daher häufig ein wesentlicher Teil der gewachsenen Identität verloren. Museen, Opernhäuser und Theater sollten sich deshalb frühzeitig die Frage stellen: Wie kann Kunst - und vor allem Identifikation - auch ohne festen Standort gelingen? Idealerweise wird diese Frage lange vor dem Umzug beantwortet.
Die Antwort liegt in einer starken, ortsunabhängigen Markenidentität. Dafür muss eine Institution zunächst klären, wer sie im Kern ist und worin sie sich von anderen kulturellen Einrichtungen unterscheidet. Dies bedeutet, grundlegende Fragen zu beantworten, wie: Woher kommen wir? Woran glauben wir? Was können wir? Wohin wollen wir? Und wie treten wir auf? Wer hier zu klaren Antworten findet, schafft damit ein tragfähiges Fundament für eine Marke, das mehr ist als ein bloßes Add-on.
Eine starke Marke lässt sich prägnant und verständlich formulieren, spricht die Zielgruppe an und wird konsistent sowie glaubwürdig kommuniziert. Sie verleiht Institutionen Stabilität und Handlungsfähigkeit, weil sie eine verlässliche innere Orientierung bietet und sie unabhängig von äußeren Veränderungen macht.
Wer den eigenen Markenkern kennt, handelt in Veränderungsprozessen nicht reaktiv, sondern gestaltend. So entstehen Spielräume für Entwicklung und neue Perspektiven. Denn nur wer sich selbst kennt, kann sich auch glaubwürdig neu verorten.
Wichtig ist dabei, zwischen Markenidentität und Markenimage zu unterscheiden. Die Markenidentität beschreibt das Selbstbild einer Institution - also, wie sie wahrgenommen werden möchte. Das Markenimage hingegen entsteht durch die Außenwahrnehmung und zeigt, wie die Marke tatsächlich auf die Zielgruppe wirkt. Zwischen diesen beiden Ebenen verläuft ein fortlaufender Aushandlungsprozess. Dabei formuliert die Institution ein Markenversprechen, das von der Zielgruppe mit deren Erwartungen abgeglichen wird. Eine Krise entsteht, wenn Selbstbild und Fremdwahrnehmung - oder Angebot und Erwartung - nicht übereinstimmen. Gerade an einem neuen Ort treten solche Brüche häufig besonders deutlich zutage. Umso wichtiger ist es, dass die innere Haltung und äußere Kommunikation im Einklang stehen. Nur wenn beides stimmig ist, lässt sich der Markenkern glaubwürdig auf einen neuen Ort übertragen, sodass Glaubwürdigkeit und Qualität erhalten bleiben können.
Es gibt viele Möglichkeiten, eine Marke ortsunabhängig erfahrbar zu machen. So lassen sich etwa wiederkehrende Rituale etablieren. Ein Theater könnte jede Vorstellung mit derselben musikalischen Eröffnung, einem charakterlichen Satz oder einer speziellen Lichtsequenz beginnen. Auch visuelle Codes wie ein konsequentes Farbkonzept oder ein wiederkehrendes Requisitendesign tragen zur Wiedererkennbarkeit bei. Sensorische Elemente, etwa einheitlicher Raumduft im Foyer oder besonders haptische Eintrittskarten, schaffen zusätzliche Identitätsanker, während persönliche Ansprachen von Ensemblemitglieder:innen oder der Intendanz Nähe zum Publikum herstellen und Vertrautheit vermitteln. Diese Beispiele zeigen, wie ortsunabhängige Markenbindung auf verschiedenen Ebenen gelingen kann. Gerade in Übergangsphasen wie während eines Interims helfen solche Elemente, Kontinuität und Vertrautheit zu schaffen.
Interimsorte bieten häufig besondere räumliche Voraussetzungen, die sich für vielfältige Nutzungen öffnen lassen, gerade wenn es sich um große industrielle Flächen oder ungewöhnliche Gebäude handelt. Diese Räume laden dazu ein, neue Formen der Zusammenarbeit und des Miteinanders zu erproben. Durch gezielte Kooperationen mit externen Partner:innen, etwa städtischen Initiativen, lokalen Vereinen oder temporären Betreiber:innen wie Pop-up-Cafés, kann der Interimsort zu einem lebendigen Treffpunkt werden. Solche gemeinschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten erhöhen nicht nur die Aufenthaltsqualität, sondern ziehen auch breiteres Publikum an. Die gegenseitige Vernetzung bringt alle Beteiligten weiter: Die Institution gewinnt neue Besucher:innen, Kooperationspartner:innen profitieren von erhöhter Sichtbarkeit, und unterschiedliche Zielgruppen begegnen sich.
Indem man Zwischenräume als eine Plattform für Kooperationen begreift, erweitert sich der Horizont des Interimsort von einer reinen Übergangslösung hin zu einem dynamischen Ort des Austauschs und der Innovation.
Sind alle baulichen Maßnahmen abgeschlossen und Verzögerungen überwunden, steht der Abschied vom Interim an. Häufig ist dieser Moment für eine Institution mit einem Abschiedsschmerz verbunden. Was anfangs mit Skepsis begann, kann sich über die Zeit in eine echte Verbundenheit gewandelt haben. Man hat sich eingelebt, Routinen gefunden und das Interim dabei vielleicht sogar liebgewonnen. Gleiches gilt für die Besucher:innen: Je überzeugender das Angebot im Interim gestaltet war, desto schwerer fällt der Abschied. Und das ist ein gutes Zeichen. Denn wenn es schwerfällt zu gehen, zeigt das, wie gut dieser Ort genutzt und angenommen wurde.
Ein bewusster Abschied kann helfen, den Übergang zu gestalten und sich dankbar vom Interim zu verabschieden. Denkbar ist ein Fest mit kleinen Ritualen, etwa Luftballons, an denen Besucher:innen Nachrichten befestigen können, selbst gestaltete Glückslose mit persönlichen Botschaften oder ein Fotoautomat, der Erinnerungen festhält. Vor dem Rück- oder Umzug sollte sich die Institution ausreichend Zeit für gemeinsame Reflexion nehmen. Was hat das Haus im Interim gelernt? Welche neuen Gewohnheiten möchte man mitnehmen, welche wieder ablegen? Auch mögliche Kritik am alten Standort kann dabei erkennbar geworden sein und sollte besprochen werden. Durch diese gemeinsame Reflexion wird der Abschied vom Interim zum Ausgangspunkt für zukünftige Entwicklungen.
Die Zeit im Interim ist meist herausfordernd, aber zugleich eine Chance für kulturelle Institutionen, sich neu zu erfinden, flexibel zu bleiben und kreative neue Wege zu gehen. Wer das Provisorium nicht nur erträgt, sondern aktiv gestaltet, öffnet Türen zu neuen Formaten und Zielgruppen. So wird das Interim nicht zur bloßen Zwischenstation, sondern zu einem prägenden Abschnitt, der die Zukunft der Institution nachhaltig mitgestaltet und neue Perspektiven eröffnet.
Luca studiert Kulturwissenschaften, Medien und Literatur. Sie bringt umfangreiche Erfahrung in der Lektorats- und Redaktionsarbeit, der Entwicklung digitaler Formate sowie im journalistischen und kreativen Schreiben mit.
Ein Umzug beginnt selten mit Euphorie. Stattdessen meist mit Kartons, Chaos und der Frage, wie lange es dauern wird, bis man sich an dem neuen Ort wie zu Hause fühlt. Was wir aus dem Privaten kennen, wenn wir gewohnte Räume verlassen, gilt auch für Institutionen. Besonders dann, wenn diese plötzlich in einem Interim landen: ein Ort, der vorübergehend bezogen und genutzt wird.
Viele kulturelle Institutionen wie Museen, Opernhäuser oder Theater sind seit Jahrzehnten in denselben Gebäuden zu Hause. Oft handelt es sich dabei um Bauten der Nachkriegszeit, die mit der Zeit baufällig geworden sind. Manche lassen sich sanieren, andere müssen geschlossen oder abgerissen werden. Um während der Zeit des Um- oder Neubaus ihr kulturelles Programm fortsetzen zu können, benötigen die Institutionen einen geeigneten Übergangsort, ein sogenanntes Interim.
Da die Suche nach einem solchen Ort meist unter Zeitdruck erfolgt, bleibt meist kaum Raum für eine sorgfältige Auswahl oder hohe Ansprüche, sodass viele Institutionen Kompromisse eingehen müssen. Hinzu kommt, dass kulturelle Einrichtungen in der Regel viel Platz benötigen. Viele Interimsräume entstehen daher in ehemals industriell genutzten Gegenden, die zwar meist außerhalb des Stadtzentrums liegen, dafür aber ausreichend Fläche bieten. Aber auch leerstehende Kirchen, Kaufhäuser oder andere ungenutzte Gebäude kommen als mögliche Standorte infrage.
Wie lange eine Institution im Interim verbleibt, hängt von verschiedenen Faktoren ab, zum Beispiel vom Umfang und der Komplexität der Renovierung, von unvorhersehbaren Bauverzögerungen, bürokratischen Hürden oder externen Einflüssen wie politischen Entscheidungen oder der Verfügbarkeit von Fördermitteln.
Da Menschen sich in vertrauten Umgebungen sicher fühlen, wundert es kaum, dass ein Umzug zunächst meist ein Gefühl von Ablehnung und Skepsis auslöst. Auch kulturelle Institutionen reagieren auf einen Umzug zu Beginn meist mit Zurückhaltung. Künstlerische Bedenken, etwa die Frage, ob sich die gewohnte Qualität der Arbeit an einem provisorischen Ort aufrechterhalten lässt, sind nachvollziehbar. Hinzu kommen finanzielle Sorgen, beispielsweise wegen unvorhersehbarer Sanierungskosten oder der Unsicherheit darüber, wie lange der Aufenthalt im Interimsort dauern wird. Nicht selten werden Rückzugstermine an den ursprünglichen Standort immer wieder hinausgezögert, wegen langwieriger Genehmigungsverfahren oder Bauverzögerungen.
Anfängliche Bedenken bezüglich eines Interims sind daher nachvollziehbar. Gleichzeitig zeigt sich jedoch häufig, dass gerade die Akzeptanz des Ungewohnten neue Perspektiven eröffnet. Wer sich auf den Wandel einlässt, erkennt in der Veränderung nicht nur Einschränkungen, sondern auch Chancen und Entwicklungsmöglichkeiten. Deshalb lohnt es sich, trotz aller verständlichen Vorbehalte den Blick nach einem Umzug nach vorne zu richten und den Interimsort als vorübergehendes Zuhause anzunehmen.
Die Annahme des Interimsorts als vorübergehender Standort ist nur der erste von vielen Schritten. Funktional wird ein solcher Ort erst, wenn sich die Institution aktiv mit den veränderten Gegebenheiten und Rahmenbedingungen auseinandersetzt, etwa mit dem sozialen und räumlichen Umfeld. Befindet sich der Interimsort beispielsweise in einem Industriegebiet, unterscheidet sich dieses meist deutlich von der gewohnten städtischen Infrastruktur. Die unmittelbaren Nachbar:innen sind dann nicht mehr Cafés, Wohnhäuser oder Einkaufspassagen, sondern Autohäuser, Firmengelände, Fabriken oder Schrebergärten. Das bedeutet häufig weniger Laufpublikum und den Verlust gewachsener lokaler Netzwerke.
Auch die baulichen Gegebenheiten können eine Herausforderung darstellen. Interimsorte sind in der Regel nicht für jene Zwecke gebaut, die sie nun erfüllen sollen. Um sich einen solchen Raum sinnvoll anzueignen, braucht es daher Kreativität, Flexibilität, Spontaneität und vor allem den Mut zur Unvollkommenheit. Wer hingegen versucht, das bestehende Programm unverändert zu übertragen, ohne auf die Eigenheiten des neuen Ortes einzugehen, verschenkt wertvolles Potenzial. Oft ist eine solche Übertragung ohnehin nicht möglich. Gründe dafür können technische Einschränkungen oder akustische Bedingungen sein.
Stattdessen sollte man sich fragen: Welche Architektur bringt dieser Ort mit, und welche Möglichkeiten ergeben sich daraus? Leerstehende Kirchen stellen beispielsweise durch ihre hallende Akustik neue klangliche Herausforderungen dar, während Industriehallen mit ihrem rohen Baustil, hohen Decken und weiten Räumen eine ganz andere Atmosphäre schaffen als klassische Theatersäle. Vielleicht inspiriert die Architektur dazu, Publikum und Bühne anders als gewohnt anzuordnen oder mit der Lichttechnik ganz neue Wege zu gehen. Da jeder Interimsort seine eigenen Rahmenbedingungen und Voraussetzungen mit sich bringt, muss jede Institution individuell entscheiden, wie sie den jeweiligen Ort kreativ nutzen möchte.
Die Andersartigkeit eines Interims bietet dabei eine wertvolle Gelegenheit, neue Impulse für das eigene Haus zu gewinnen. Ungewöhnliche und unkonventionelle Räume entfalten zudem häufig eine besondere Anziehungskraft, die neue Ausdrucksformen ermöglicht, die am bisherigen festen Standort vielleicht nicht realisierbar waren. Darin liegt auch die Chance, neue Zielgruppen zu erschließen, insbesondere solche, die das Ungewöhnliche und Überraschende schätzen. In jedem Fall zeigt sich, dass im Interim Raum zum Experimentieren, Erproben, Weiterdenken und spielerischen Gestalten entsteht.
Ein Interim entfaltet sein volles Potenzial nur, wenn die Institution es als temporäres Zuhause ernst nimmt. Wird es hingegen lediglich als notwendiges Übel betrachtet, überträgt sich diese Geringschätzung schnell auf die Wahrnehmung der Besucher:innen.
Nimmt man sich hingegen bewusst Zeit, das Interim zu erkunden - etwa indem man sich mit seinem kulturellen und historischen Kontext auseinandersetzt und die daraus gewonnenen Erkenntnisse aktiv in die eigene Arbeit einfließen lässt -, bietet sich die Chance, den Ort nicht nur funktional zu nutzen, sondern ihm auch sichtbar Wertschätzung entgegenzubringen. Wenn das Interim und sein jeweiliger Kontext Teil der institutionellen Erzählung wird, signalisiert das nach außen, dass die zeitweilige Verortung akzeptiert und ernst genommen wird.
Zeigt eine Institution Neugier und Offenheit gegenüber dem neuen Ort und lädt das Publikum zu einer gemeinsamen Entdeckungsreise ein, kann sich diese Begeisterung auf die Besucher:innen übertragen. So wird das Interim zu einem lebendigen Raum des Austauschs und der kreativen Entwicklung.
Viele kulturelle Institutionen geraten in eine Identitätskrise, wenn sie in ein Interim umziehen, insbesondere dann, wenn der bisherige Standort maßgeblich zur Markenbildung beigetragen hat. Das Problem dabei ist, dass sich der alte Ort nicht einfach auf den neuen übertragen lässt. Mit dem Umzug geht daher häufig ein wesentlicher Teil der gewachsenen Identität verloren. Museen, Opernhäuser und Theater sollten sich deshalb frühzeitig die Frage stellen: Wie kann Kunst - und vor allem Identifikation - auch ohne festen Standort gelingen? Idealerweise wird diese Frage lange vor dem Umzug beantwortet.
Die Antwort liegt in einer starken, ortsunabhängigen Markenidentität. Dafür muss eine Institution zunächst klären, wer sie im Kern ist und worin sie sich von anderen kulturellen Einrichtungen unterscheidet. Dies bedeutet, grundlegende Fragen zu beantworten, wie: Woher kommen wir? Woran glauben wir? Was können wir? Wohin wollen wir? Und wie treten wir auf? Wer hier zu klaren Antworten findet, schafft damit ein tragfähiges Fundament für eine Marke, das mehr ist als ein bloßes Add-on.
Eine starke Marke lässt sich prägnant und verständlich formulieren, spricht die Zielgruppe an und wird konsistent sowie glaubwürdig kommuniziert. Sie verleiht Institutionen Stabilität und Handlungsfähigkeit, weil sie eine verlässliche innere Orientierung bietet und sie unabhängig von äußeren Veränderungen macht.
Wer den eigenen Markenkern kennt, handelt in Veränderungsprozessen nicht reaktiv, sondern gestaltend. So entstehen Spielräume für Entwicklung und neue Perspektiven. Denn nur wer sich selbst kennt, kann sich auch glaubwürdig neu verorten.
Wichtig ist dabei, zwischen Markenidentität und Markenimage zu unterscheiden. Die Markenidentität beschreibt das Selbstbild einer Institution - also, wie sie wahrgenommen werden möchte. Das Markenimage hingegen entsteht durch die Außenwahrnehmung und zeigt, wie die Marke tatsächlich auf die Zielgruppe wirkt. Zwischen diesen beiden Ebenen verläuft ein fortlaufender Aushandlungsprozess. Dabei formuliert die Institution ein Markenversprechen, das von der Zielgruppe mit deren Erwartungen abgeglichen wird. Eine Krise entsteht, wenn Selbstbild und Fremdwahrnehmung - oder Angebot und Erwartung - nicht übereinstimmen. Gerade an einem neuen Ort treten solche Brüche häufig besonders deutlich zutage. Umso wichtiger ist es, dass die innere Haltung und äußere Kommunikation im Einklang stehen. Nur wenn beides stimmig ist, lässt sich der Markenkern glaubwürdig auf einen neuen Ort übertragen, sodass Glaubwürdigkeit und Qualität erhalten bleiben können.
Es gibt viele Möglichkeiten, eine Marke ortsunabhängig erfahrbar zu machen. So lassen sich etwa wiederkehrende Rituale etablieren. Ein Theater könnte jede Vorstellung mit derselben musikalischen Eröffnung, einem charakterlichen Satz oder einer speziellen Lichtsequenz beginnen. Auch visuelle Codes wie ein konsequentes Farbkonzept oder ein wiederkehrendes Requisitendesign tragen zur Wiedererkennbarkeit bei. Sensorische Elemente, etwa einheitlicher Raumduft im Foyer oder besonders haptische Eintrittskarten, schaffen zusätzliche Identitätsanker, während persönliche Ansprachen von Ensemblemitglieder:innen oder der Intendanz Nähe zum Publikum herstellen und Vertrautheit vermitteln. Diese Beispiele zeigen, wie ortsunabhängige Markenbindung auf verschiedenen Ebenen gelingen kann. Gerade in Übergangsphasen wie während eines Interims helfen solche Elemente, Kontinuität und Vertrautheit zu schaffen.
Interimsorte bieten häufig besondere räumliche Voraussetzungen, die sich für vielfältige Nutzungen öffnen lassen, gerade wenn es sich um große industrielle Flächen oder ungewöhnliche Gebäude handelt. Diese Räume laden dazu ein, neue Formen der Zusammenarbeit und des Miteinanders zu erproben. Durch gezielte Kooperationen mit externen Partner:innen, etwa städtischen Initiativen, lokalen Vereinen oder temporären Betreiber:innen wie Pop-up-Cafés, kann der Interimsort zu einem lebendigen Treffpunkt werden. Solche gemeinschaftlichen Nutzungsmöglichkeiten erhöhen nicht nur die Aufenthaltsqualität, sondern ziehen auch breiteres Publikum an. Die gegenseitige Vernetzung bringt alle Beteiligten weiter: Die Institution gewinnt neue Besucher:innen, Kooperationspartner:innen profitieren von erhöhter Sichtbarkeit, und unterschiedliche Zielgruppen begegnen sich.
Indem man Zwischenräume als eine Plattform für Kooperationen begreift, erweitert sich der Horizont des Interimsort von einer reinen Übergangslösung hin zu einem dynamischen Ort des Austauschs und der Innovation.
Sind alle baulichen Maßnahmen abgeschlossen und Verzögerungen überwunden, steht der Abschied vom Interim an. Häufig ist dieser Moment für eine Institution mit einem Abschiedsschmerz verbunden. Was anfangs mit Skepsis begann, kann sich über die Zeit in eine echte Verbundenheit gewandelt haben. Man hat sich eingelebt, Routinen gefunden und das Interim dabei vielleicht sogar liebgewonnen. Gleiches gilt für die Besucher:innen: Je überzeugender das Angebot im Interim gestaltet war, desto schwerer fällt der Abschied. Und das ist ein gutes Zeichen. Denn wenn es schwerfällt zu gehen, zeigt das, wie gut dieser Ort genutzt und angenommen wurde.
Ein bewusster Abschied kann helfen, den Übergang zu gestalten und sich dankbar vom Interim zu verabschieden. Denkbar ist ein Fest mit kleinen Ritualen, etwa Luftballons, an denen Besucher:innen Nachrichten befestigen können, selbst gestaltete Glückslose mit persönlichen Botschaften oder ein Fotoautomat, der Erinnerungen festhält. Vor dem Rück- oder Umzug sollte sich die Institution ausreichend Zeit für gemeinsame Reflexion nehmen. Was hat das Haus im Interim gelernt? Welche neuen Gewohnheiten möchte man mitnehmen, welche wieder ablegen? Auch mögliche Kritik am alten Standort kann dabei erkennbar geworden sein und sollte besprochen werden. Durch diese gemeinsame Reflexion wird der Abschied vom Interim zum Ausgangspunkt für zukünftige Entwicklungen.
Die Zeit im Interim ist meist herausfordernd, aber zugleich eine Chance für kulturelle Institutionen, sich neu zu erfinden, flexibel zu bleiben und kreative neue Wege zu gehen. Wer das Provisorium nicht nur erträgt, sondern aktiv gestaltet, öffnet Türen zu neuen Formaten und Zielgruppen. So wird das Interim nicht zur bloßen Zwischenstation, sondern zu einem prägenden Abschnitt, der die Zukunft der Institution nachhaltig mitgestaltet und neue Perspektiven eröffnet.
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