von Marie-Louise Schlutius
In der Welt der Kultur, wo jedes Wort zählt und jede Geste interpretiert wird, ist Schweigen oft das lauteste Geräusch. Die aktuellen Diskussionen rund um Rassismus, Antisemitismus und Sexismus führen zu heftigen Debatten, die die Glaubwürdigkeit eines Museums, einer Kulturbehörde oder Kunsthochschule schnell erschüttern können. Deshalb ist es wichtig, dort präsent zu sein, wo die Diskussion stattfindet: In den sozialen Medien. Und zwar nicht durch bloße Anwesenheit, sondern durch Interaktion.
Doch was zeichnet eine Institution aus, die mit klaren, durchdachten Antworten auf gegenwärtige Meinungsverschiedenheiten reagiert und nicht schweigt, wenn gesellschaftspolitische Verwerfungen aufkommen? Wir richten unseren Blick auf drei Kultureinrichtungen, die mediale Aufmerksamkeit erregt - und sich entsprechend positioniert haben.
Die Freiheit des Wortes
Denken wir an die Frankfurter Buchmesse im vergangenen Jahr, als der slowenische Philosoph Slavoj Žižek für Unruhe mit seinen Bemerkungen zum Nahostkonflikt sorgte. Während seiner Rede vor einem großen geladenen Publikum sagte er: „Die deutsche Besessenheit, auf der richtigen Seite zu stehen, bekommt derzeit eine dunkle Kehrseite“. Der Philosoph verurteilte das Massaker der Hamas auf die israelische Bevölkerung. Žižek betonte jedoch im gleichen Atemzug, man müsse auch den Palästinensern zuhören und deren Hintergrund beachten, um den Konflikt verstehen zu können. Mehrere prominente Gäste verließen während der Rede den Saal. Jürgen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, betrat daraufhin spontan die Bühne. In seinem mündlichen Statement betonte er die Bedeutung der Meinungsfreiheit. Es sei ihm wichtig, dass wir uns alle einig in der Verurteilung der Unmenschlichkeit, in der Verurteilung des Terrors einig seien. Boos Statement: „Es ist die Freiheit des Wortes. Und die müssen wir hier stehen lassen, das ist mir wichtig. [...], Auch wenn wir sie sogar verurteilen, es ist wichtig, dass wir uns zuhören.“ Reaktionsfähigkeit – das ist im Krisenmanagement entscheidend, um das Vertrauen der Öffentlichkeit zu erhalten.
Auch die Leitung des LWL-Museums Zeche Zollern, einem staatlich geförderten Industriedenkmal mit angeschlossenem Museum in Dortmund, reagierte bestimmt, als sie in Kritik geriet. Während der Sonderausstellung „Das ist kolonial“ im vergangenen Jahr wurde darum gebeten, samstags von 10 bis 14 Uhr die gesamten Ausstellungsräume People of Color (BIPoC) zu überlassen. Damit sollte eine Art "Safer Space" geschaffen werden. Vor allem rechte Kreise haben diesen Vorschlag propagandistisch ausgeschlachtet. Sie sprachen auf der Plattform X von Ausgrenzung und drehten den Rassismusbegriff für sich um. Dabei basierte "Das ist kolonial" in erster Linie auf einem Vertrauens- und Partizipationsgedanken – und nicht auf gezielter Kontrolle oder Exklusion. Trotz heftiger Kritik von rechtspopulistischer Seite hielt das LWL-Museum Zeche Zollern an dem Konzept fest. Mit dieser Entscheidung blieb die Leitung ihrem Experiment treu, das Thema Kolonialismus auf der Besuchsebene anders aufzubereiten.
Das Museum begleitet die Sonderausstellung auch digital. Seit Anfang 2023 nimmt das LWL-Museum Zeche Zollern Interessierte über den eigens für die Ausstellung eingerichteten Instagram-Kanal mit. Auf ihm teilen sie Einblicke aus der sogenannten Ausstellungswerkstatt, stellen das Programm vor und lassen die Künstlerinnen in einem Video zu Wort kommen. In einem FAQ findet sich auf den zweiten Blick auch die Antwort auf die Frage, ob es bei der nächsten Ausstellung wieder einen Safer Space geben wird. Diese Transparenz in der Krisenkommunikation via Instagram ist lobenswert und kann in Zukunft noch stärker in den Fokus gerückt werden. Mit dem eigens für die Ausstellung eingerichteten Instagram-Kanal geht das LWL-Museum mitgutem Beispiel voran. So halten sie die eigenen Besucher:innen auf dem Laufenden. Dieser Ansatz ist immer geeignet - sei es über Videoformate, Newsletter oder andere gängige soziale Medien.
Vertrauen aufzubauen dauert. Man muss beständig sein und auf Kritik reagieren. Ein Beispiel füreine schnelle und entschlossene Reaktion in Krisenzeiten ist das Academy Museum of Motion Pictures in Los Angeles. Die Ausstellung "Hollywoodland: Jewish Founders and the Making of a Movie Capital" erscheint manchen Besucher:innen als eine Aneinanderreihung antisemitischer Stereotype und eine einseitige Darstellung der Gründungsväter. Das Museum hat auf die Vorwürfe, die Ausstellung habe antisemitische Stereotype perpetuiert, rasch reagiert. Es kündigte an, die kritisierten Aspekte zu überprüfen und die Ausstellung entsprechend zu überarbeiten und anzupassen. Außerdem berief sie einen Beirat ein. Die Museumsleitung hat damit gezeigt, dass sie auf Kritik reagiert und ihre Verantwortung ernst nimmt. Jede Kulturinstitution sollte transparent kommunizieren, um ihr Publikum auch in schwierigen Zeiten zu halten. Es erfordert Mut, sich öffentlich zu entschuldigen und Fehler zuzugeben. In der Regel wird dieser aber belohnt. Wie wir auf Kritik reagieren, entscheidet letztendlich, ob das Publikum bleibt – oder geht.
Hallo! Hier schreibt Marie-Louise Schlutius. Ich bin freie Autorin, Linkedin-Texterin und Moderatorin.
Wie können Theater, Museum, Festivals oder Bibliotheken Boykotte oder Shitstorms vermeiden und ihren Ruf retten?
Am 27. September erscheint das Buch "Krisenkommunikation für den Kulturbetrieb" von unserem Gründer:in-Team Karin Bjerregaard Schlüter und Ralf Schlüter.
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