Interview mit Alexander Nieschwietz
von Karin Schlüter
„Diverse Teams arbeiten besser“ oder „Führungsetagen sollten divers besetzt werden, das hilft bei Veränderungen“. Diese beiden Sätze sind fast sowas wie Allgemeinplätze der digitalen Transformation. Doch worin liegt der Vorteil solcher Teams eigentlich genau? Alexander Nieschwietz ist Innovationsmanager im WDR Innovation Hub und hat sich wissenschaftlich in seiner Masterarbeit mit einem Teilaspekt beschäftigt. Er hat die Frage untersucht, ob homosexuelle Führungskräfte mit der digitalen Transformation besser zurechtkommen oder ob sie darin Vorteile haben. Die Antwort lautet: Es gibt Hinweise darauf, dass bestimmte Phasen, wie zum Beispiel das Coming-out, quasi als Training für Situationen dienen, die schlecht durchschaubar sind. Dabei werden Coping-Strategien entwickelt, die auch bei der digitalen Transformation von Nutzen sein können.
Welche Fähigkeiten brauchen Führungskräfte und Mitarbeitende in Organisationen, wenn sie die digitale Transformation angehen wollen?
In der Digitalisierung wissen wir oft nicht, was als Nächstes kommt. Daher müssen Führungskräfte mit Veränderungen umgehen können und in der Lage sein, Entscheidungen zu treffen, ohne deren direkte Konsequenzen zu kennen. Dazu gehört auch die Neugier gegenüber dem Neuen, vor allem gegenüber neuen Technologien, und ein Verständnis für digitale Prozesse.
Wie stehen diese Eigenschaften mit den Erfahrungen von queeren Menschen in Verbindung?
Im Gegensatz zu anderen Diversity-Dimensionen ist die sexuelle Orientierung unsichtbar. Wenn jemand geboren wird, wird zunächst meist angenommen, dass er oder sie heterosexuell ist. Damit muss man als queerer Mensch lernen umzugehen. Logischerweise sieht man auch andere queere Menschen nicht und muss hier auf die Suche gehen: Wie kann ich einen anderen queeren Menschen finden? Früher ging das gut in Etablissements, wie Bars und Saunen, die gibt es heute auch noch, aber viel weniger. Heute geht mehr über digitale Tools und Dating-Apps wie das in der schwulen Subkultur besonders beliebte Grindr.
Bedeutet das, dass queere Menschen eine positive Einstellung zur Technologie haben, da sie ihnen hilft, Unsichtbares sichtbar zu machen?
In meiner Masterarbeit konnte ich zeigen, dass die Befragten eine positive Haltung zur Technologie haben. Mit Hilfe von Technologie können sie andere queere Menschen sichtbar machen, und das ist eine große Erleichterung für sie. Einige Führungskräfte berichteten sogar, sie hätten quasi missionarischen Eifer entwickelt, um ihre Mitarbeitenden auch vom Einsatz neuer Technologie zu überzeugen.
Entscheidend sind also Neugier, dann eine gewisse soziale Beobachtungsgabe, und eine positive Haltung zur Technologie. Sind das die 3 Wunderwaffen für Führung in der digitalen Transformation?
Die „Wunderwaffe“ ist meiner Meinung nach eine andere, sie ist mit der Coming-out Erfahrung verbunden. Hier findet ein Training für den Umgang mit Veränderungen und mit Komplexität statt, denn wer sich outet, kann sich nicht sicher sein, wie die Reaktion darauf ausfallen wird und ob das Umfeld positiv oder negativ auf das Coming-out reagiert.
Meine Interviewpartner haben mir beschrieben, dass diese Erfahrung beeinflusst, wie sie mit riskanten Entscheidungen in ihrer Führungsrolle umgehen. Denjenigen, die eine positive Coming-out Erfahrung gemacht haben, fällt der Umgang mit Risiken leichter. Das ist eine Superkraft, die hilft die Digitalisierung zu meistern und nicht vor Komplexität zurückzuschrecken.
Im Grunde ist die persönliche Erfahrung also eine Art Trainingslager, wo Copingstrategien für die komplexe neue Welt entwickelt werden. Was können wir daraus lernen?
Aus meiner Arbeit können wir ableiten, dass diverse Teams die Digitalisierung besser bewältigen können. Es reicht jedoch nicht aus, nur auf die verschiedenen Dimensionen der Diversität zu schauen, wie „Frau“, „schwuler Mann“, oder „ältere Person“. Wir müssen genauer auf die individuellen Erfahrungen innerhalb dieser Dimensionen achten. Das bedeutet, wir müssten eigentlich darauf schauen, welche persönlichen Erfahrungen Menschen gemacht haben und wie diese ihre Herangehensweise an komplexe Entscheidungen beeinflussen.
Das heißt, jeder Mensch sollte individuell betrachtet werden. Man muss schauen, welche persönlichen Erfahrungen, unsichtbare und sichtbare, die Menschen gemacht haben und das in die Führungsarbeit miteinbeziehen.
Genau, jeder Mensch muss einzeln betrachtet werden und nicht nur als ein Kuchenstück einer Diversity-Dimension. Die Diversity-Dimensionen können jedoch als Ausgangspunkt dienen, um weiter zu blicken und gezielte Fragen zu stellen.
Mehr zum Thema: Diversity-Dimensionen (Quelle: Charta der Vielfalt).
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