Die neuen KI-Programme generieren aus vorhandenen Daten erstaunliche Bilder, Texte und Töne. Werden Künstler:innen jetzt eigentlich noch gebraucht? Wie KI das Künstler:innenbild verändert, darüber hat Ralf Schlüter auf der re:publica x Reeperbahn Festival gesprochen.
Die Moderne war die große Zeit der Originale. Niemand malte wie Picasso, niemand sang wie Aretha Franklin. Künstler:innen waren einzigartige Wesen, entrückt vom Alltag. Sie standen außerhalb der bürgerlichen Gesellschaft und forderten diese heraus. Das Singularitätsprinzip beherrschte die Kunst.
Durch die neuen KI-Programme wird alles anders. Die klare Zuordnung von Werken zu Urheber:innen verliert im User:innen-zentrierten Gebrauch an Bedeutung.
Verschwinden Künstler:innen, wie wir sie kannten, aus der Kunst? Werden sie nur noch als Lieferant:innen von ästhetischem Material gebraucht? Regiert jetzt das Open-AI-Programm DALL-E, wo früher die Werke des spanischen Malers Salvador Dalí bewundert wurden?
Auch ohne KI verändert sich das Künstler:innenbild
Bei genauerer Betrachtung stellt sich sie Lage nicht ganz so dramatisch dar. Auch ohne den Einfluss Künstlicher Intelligenz hatte sich das Künstler:innenbild seit den Zeiten von Dalí und Piacasso schon tiefgreifend verändert.
Der Wandel begann in den 1960er Jahren. In New York nannte der Pop-Art-Künstler Andy Warhol sein Atelier Factory, Fabrik. Aus dem auratischen Einzelbild wurde die serielle Bildproduktion, der Künstler und Fabrik-Chef lieferte Bilder wie vom Band, oft wiederholten sich die Motive auf der gleichen Leinwand etliche Male. Warhol verstand sich weniger als Originalgenie, sondern als besonders geschickter Verwerter von Medienbildern.
In Deutschland propagierte zur selben Zeit Joseph Beuys seinen sogenannten erweiterten Kunstbegriff. »Jeder Mensch ist ein Künstler« lautete sein Credo. Damit verschob er den Schwerpunkt weg vom genialen Schöpfer hin zur Kreativität, die jede:r hat.
Weitere Attacken auf den Geniekult kamen aus der Popmusik: DJs benutzen vorhandene Aufnahmen, um daraus Aufnahmen für den Dancefloor zumachen, auf den Moment hin gemixt. Der Remix war, wenn man so will, eine User:innen-zentrierte Technik: Sie nahm Rohmaterial und formte daraus einen Impuls für den Augenblick.
Wenn die neuen KI-Programme heute vorhandene Schöpfungen als »Trainingsdaten« benutzen, ist das zwar einerseits ein Bruch mit den Regeln, der vor allem auch juristische Fragen aufwirft – darf man geistiges Eigentum einfach so von einer Maschine benutzen und remixen lassen? Andererseits ist es aber seit Jahrzehnten auch kulturelle Praxis, Bilder, Texte und Töne eher zu verwerten anstatt ganz Neues zu produzieren.
Werden Künstler:innen überflüssig?
Wenn jetzt die Rechner innerhalb von Sekunden sehr unwahrscheinliche, und damit interessante Bilder hervorbringen, werden Künstler:innen dann endgültig überflüssig?
Wer das bejaht, verfehlt den Sinn von Kunst. Künstler:innen sind nicht nur Produzent:innen ästhetischer Gebilde. Sie sind zugleich die Akteure im Dienste ganz bestimmter Weltsichten, die menschliche Erfahrungen reflektieren und in eine Form bringen. Nicht zuletzt sind sie auch Rollenvorbilder, sie erweitern den Spielraum für den Einzelnen und ganze Gruppen.
Kunst ist ein Gespräch zwischen Menschen, das sozusagen über Umwege stattfindet. Das wird im Kern wohl so bleiben. Es gibt aber einen neuen Akteur, eine extrem leistungsstarke Maschine, die sich mit verklärenden Begriffen wie »Schöpfung« nicht lange aufhält, und stattdessen im großen Stil Gebilde jeglicher Art generiert. Die Kunst und ihre Produktion werden sich dadurch noch weiter vom Geniekult der Moderne entfernen.
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