Wer einen Worst Case in der Diskurskrise ausmachen möchte, muss in dieser Woche nicht lange suchen. Bei den Berliner Filmfestspielen ist alles falsch gelaufen, was falsch laufen kann. Die Abschlussgala am vergangenen Wochenende geriet zur Konfliktarena in Sachen Nahostkrieg. Mehrere Künstler:innen und Jurymitglieder positionierten sich klar gegen Israel, es fielen hochumstrittene Begriffe wie »Genozid« und »Apartheid«, und im Publikum gab es viel Applaus dafür. Man hatte nicht den Eindruck, dass die Berlinale-Leitung und die Teams von Moderation und Kommunikation auf die Situation irgendwie vorbereitet waren. Ganz egal wie man inhaltlich zu den Statements steht – es entstand der Eindruck, dass diese Gala für politische Zwecke benutzt werden kann, ohne dass es nennenswerte Gegenwehr gibt. Niemand hakte nach oder relativierte die Aussagen, und die Veranstaltung, als festlicher Abschluss geplant, trug plötzlich Züge einer Kundgebung.
Was dann kam, hätte man nach der Erfahrung der letzten zwei Jahre auf die Minute genau vorhersagen können. Die Empörungswelle begann schon auf hohem Niveau, schnell meldeten sich die Diskursplayer auf diesem Gebiet, darunter in vorderster Reihe Volker Beck, der Präsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft. Sogar Bundeskanzler Olaf Scholz schaltete sich ein und beklagte die »einseitige Positionierung« – höher kann ein Kulturskandal nicht gehängt werden. Kulturstaatsministerin Claudia Roth, die am Abend im Saal war, blieb nur noch, das triste Ritual abzuschließen und einmal mehr »Aufarbeitung« anzukündigen.
Was ist nur los in der deutschen Kulturszene? Seit der documenta fifteen wiederholen sich die Szene in enervierender Vorhersagbarkeit. Differenzierter, klüger, genauer sind wir seit dem Kassel-Skandal von 2022 insgesamt nicht geworden, noch immer vermengen die Medien und Politiker gerne Israel-Kritik, Israel-Hass und Antisemitismus. Dabei muss man in diesem hochsensiblen Diskursfeld sehr genau hinschauen und besonders skrupulös mit Begriffen umgehen; alles andere ist politisch fahrlässig.
Die Berlinale hätte das kommen sehen können. Vielleicht hat sie das Problem unterschätzt, wir wissen es nicht. Es scheint, als hätten Kulturinstitutionen immer noch nicht begriffen, was gerade passiert: Wir befinden uns in einer tiefgreifenden Diskurskrise. Die zeitgenössische Kunst hat sich politisiert und teilweise dem Aktivismus verschrieben, und die Häuser, auf »autonome Kunst« eingeschworen, können nicht mit den Folgen umgehen. Streitformate und Streitthemen passen nicht mehr zusammen, überall wird boykottiert, gestört und gestreikt, statt debattiert.
Es wird noch eine Weile dauern, bis wir diese Sprachlosigkeit überwunden haben. Bis dahin hilft den Häusern eine zeitgemäße Krisenkommunikation, die speziell auf diese Diskurskrise abgestimmt ist. Die kultur{}botschaft berät aktuell einige Institutionen in diesen Fragen. Im April möchten wir die Erfahrungen daraus für alle zugänglich machen: Wir bieten ein zweitätiges Bootcamp an, in dem wir Grundlagen und Methoden zur Krisenkommunikation und zum Nahost-Diskurs vermitteln.
Hyper-Snacks des Monats
🗣️ DER SPIEGEL hat den Kommentarbereich auf seiner Website geschlossen, stattdessen gibt es jetzt den Bereich "Spiegel Debatte". Hier wird deutlich strukturierter zu ausgewählten Themen diskutiert. In der aktuellen Episode des Podcasts "Subscribe Now" spricht Strategieberater Lennart Schreiber mit Angela Gruber vom SPIEGEL über die Hintergründe.
🆕 Das jüngste KI-Kind von OpenAI heisst Sora. Das Modell kombiniert die Technologien von ChatGPT und dem Bildgenerator DALL-E und erzeugt so bis zu einminütige Videos. Alle diskutieren über diesen Durchbruch, wir verfolgen dies gespannt, speziell hinsichtlich der Anwendungen in Kultur und Medien.
🎭 Hörtipp: Im Podcast "Wie War's?" des Berliner Ensemble geht Gastgeberin Marion Brasch mit prominenten Begleiter:innen ins Theater. Zu hören ist das Kantinengespräch danach, mit frischen Eindrücken über die Vorstellung, zum Beispiel mit El Hotzo im Stück "It's Britney Bitch!".
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