Von documenta bis Berlinale: Im Zeitalter der Identitätspolitik häufen sich Skandale, Kulturinstitutionen stehen unter Diskursdruck. Viele Häuser brauchen ein Konzept für Krisenkommunikation. Das beginnt immer mit der Frage: Wo stehen wir eigentlich selbst?
Was die Krise in der Kultur bedeutet, kann man derzeit auf Instagram verfolgen. Fast wöchentlich liest man dort klamme Statements deutscher Kulturinstitutionen. Im Januar 2024 rechtfertigte sich die Hamburger Kulturfabrik Kampnagel, der vorgeworfen wurde, eine Antisemitin als Keynote-Speakerin verpflichtet zu haben. Die Berlinale nahm kurz darauf Stellung, weil sie zwei AfD-Mitglieder zum Festival eingeladen hatte. Das Lenbachhaus in München schreibt einen aus heutiger Sicht rassistischen Bildtitel von August Macke nicht voll aus, und wurde daraufhin mit dem Vorwurf der Zensur konfrontiert – auch dazu gab es eine Stellungnahme auf Instagram.
Werden identitätspolitische »Triggerpunkte« berührt, kommt es schnell zu Zuspitzungen
Was mit dem Antisemitismusskandal der documenta fifteen im Jahr 2022 zum ersten mal groß verhandelt wurde, droht zum Alltag zu werden: Kulturinstitutionen werden nicht an der ästhetischen Qualität ihres Programms gemessen, sondern am Diskriminierungspotenzial ihrer personellen oder kuratorischen Entscheidungen. Berühren sie mit ihrer Arbeit identitätspolitische »Triggerpunkte«, kann es zu öffentlichen lawinenartigen Zuspitzungen kommen. Oft wissen sich die Leitungen dann nicht anders zu helfen, als die Veranstaltung abzusagen, was einen neuen Vorwurf produziert, den der Cancel Culture.
Erregungssstürme beginnen meist ganz klein in Social Media oder Blogs, und können dann übergreifen auf die redaktionellen Medien und schließlich die politische Sphäre. Das Resultat ist Rufschädigung. Einer renommierten Institution wie Kampnagel ordnet Google dann als ersten Suchbegriff »Antisemitismus« zu.
Wir brauchen ein Konzept für Krisenkommunikation in der Kultur
Es wird noch eine Weile dauern, bis wir auf diesem Gebiet einen neuen Konsens erreicht haben. Damit Museen, Festivals, Universitäten bis dahin weiter funktionieren können, brauchen wir ein Konzept für Krisenkommunikation in der Kultur. Sie betrachtet den ganzen Bereich, vom entlegensten Post oder Blogeintrag bis hin zur großen politischen Aufregung, und bereitet die Institution auf eskalierende Situationen vor. Diese soll ihre gute Reputation behalten, oder sogar noch steigern, das ist das Ziel.
Am Beginn steht immer eine Klärung: Die Leitung des Hauses muss sich selbst darüber klar werden, wie sie zu dem (potenziell) umstrittenen Thema steht. Wenn etwa ihre Haltung zu einer politischen Frage nicht identisch ist mit der einer eingeladenen Person, muss dies benannt werden. Und es muss klar sein, aus welchen Gründen die Person eingeladen wurde, ob der Triggerpunkt mit diesen Gründen zu tun hat, oder aus einer anderen Sphäre kommt.
Mit Hilfe dieses Frameworks kann sich das Haus an seine Förderer und Unterstützer wenden, um deren Vertrauen zu stärken. Je früher diese eingebunden sind, desto höher die Loyalität zum Haus. Zeitgleich sollte ein Krisenhandbuch angelegt werden, das alle wichtigen Informationen versammelt, von Kontaktdaten bis zu Sprachregelungen, für die Zeit »im Getümmel«.
Gegen Shitstorms hilft es, zu beobachten und schnell zu reagieren
Die größte Gefahr für die Reputation geht vom Shitstorm aus. Ein kurzer Kommentar in Social Media, ein Blogeintrag oder ein Posting kann sich aufbauen zum perfekten digitalen Sturm. Um dies zu vermeiden, muss das Kommunikationsteam jederzeit wissen, wo und was im Netz über das Haus geäußert wird, dabei helfen Tools wie swat.io (mit dem man die eigenen Kanäle monitoren kann), oder Brand 24 (das das gesamte Netz beobachtet).
Taucht eine kritische Äußerung auf, sollte die absendende Person sehr schnell eine Antwort bekommen, höflich, zur Sache, inhaltlich und sprachlich korrekt. Das genügt in den meisten Fällen schon, damit Menschen sich beachtet fühlen, und nicht aus Ärger die Welle höher treiben.Bei sehr komplexen Themenfeldern bereitet man die verschiedene Antworten vor, so dass in der Debatte schnell reagieren kann. Parallel dazu hält man Kontakt zu den etablierten Medien, und steht für Austausch und Interviews zur Verfügung.
Wichtig dabei ist, dass man seine Reputation nur bewahren kann, wenn man schnell und wahrheitsgemäß seine eigene Haltung kommuniziert. Insofern kann Krisenkommunikation auch einen Transformationsprozess innerhalb der Organisation anstoßen: Sie wird »gezwungen«, sich über ihre eigene Funktion, aber auch ihre Position klar zu werden. Dadurch eröffnen sich Handlungsspielräume jenseits von »machen oder canceln«.
Bildquelle: Instagram-Account Lenbachhaus München (06. Feb 24), Hamburger Kulturfabrik Kampnagel (24. Jan 2024), und Berlinale (04. Feb 2024).
Hi, mein Name ist Ralf, mich triffst du normalerweise in Museen, in Buchläden oder bei Konzerten. Ich bin Mitgründer von kultur{}botschaft, Berater und Kulturjournalist.
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