
Landkarte der Gefahr
Nicht bei allen Kulturinstitutionen ist die Gefahr, von Skandalen heimgesucht zu werden, gleich groß. Ein kleiner Leitfaden zur Diskurskrise.
Für jeden der Kunst ausstellt, produziert, kuratiert, kann die Diskurskrise toxische Folgen haben. Bestimmte brisante Themen scheinen plötzlich in den gewohnten Kunstbetrieb einzubrechen und entfalten in kurzer Zeit ihre destruktive Kraft. Ganz aktuell müssen wir dabei zusehen, wie eine Künstlerin, eine (ehemalige) Museumsdirektorin und eine Ministerin im selbstgemachten Strudel eines solchen Falls um Begrenzung des Schadens ringen, obwohl es dafür doch längst zu spät ist. Im November hatte das Saarlandmuseum in Saarbrücken eine Ausstellung der südafrikanischen Künstlerin Candice Breitz abgesagt. Begründung: Sie habe sich nicht klar genug gegen den Terror der Hamas positioniert und stattdessen Israel übermäßig kritisiert.
»Ist es nicht mehr möglich, Differenzen in einer Debatte zu thematisieren?«
Schon bald nach der Absage wurde klar, dass die Begründung schwer haltbar war. Breitz hatte sich in Wirklichkeit ziemlich differenziert zum Thema Hamas/Palästina geäußert. Hinzu kam, dass es schon sehr merkwürdig wirkt, wenn ein deutsches Museum eine jüdische Künstlerin wie Breitz unter dem impliziten Vorwurf des Antisemitismus aus dem Programm nimmt. Je länger der Fall her ist, desto peinlicher wirkt er. Ist es nicht mehr möglich, Differenzen in einer Debatte zu thematisieren? Muss gleich alles abgesagt werden?
Anfang März wurden dann WhatsApp-Nachrichten öffentlich, die angeblich belegen, dass die Direktorin Andrea Jahn von der Kulturministerin Christine Streichert Clivot (SPD) zu der Absage gedrängt wurde. Jahn lies dann aber verbreiten, sie stehe doch zu dem Schritt, große Verwirrung – schließlich trat sie zurück. Das Desaster war komplett.
Der Fall im Saarland zeigt, wie es im schlimmsten Fall läuft, wenn Kulturinstitutionen sich nicht mit der Diskurskrise beschäftigen. Aber wen betrifft die Krise eigentlich? Gibt es Formate und Institutionen, die besonders in Gefahr sind? Kann man eingrenzen, auf welchen Feldern die allersorgfältigste Vorbereitung nötig ist?
Anfang März wurden dann WhatsApp-Nachrichten öffentlich, die angeblich belegen, dass die Direktorin Andrea Jahn von der Kulturministerin Christine Streichert Clivot (SPD) zu der Absage gedrängt wurde. Jahn lies dann aber verbreiten, sie stehe doch zu dem Schritt, große Verwirrung – schließlich trat sie zurück. Das Desaster war komplett.
Der Fall im Saarland zeigt, wie es im schlimmsten Fall läuft, wenn Kulturinstitutionen sich nicht mit der Diskurskrise beschäftigen. Aber wen betrifft die Krise eigentlich? Gibt es Formate und Institutionen, die besonders in Gefahr sind? Kann man eingrenzen, auf welchen Feldern die allersorgfältigste Vorbereitung nötig ist?
Festivals sind besonders in Gefahr
Hier kommt ein kleines Ranking der besonders betroffenen Kategorien von Häusern:
- Ganz vorne stehen Festivals, wie die documenta, die Berliner Filmfestspiele oder die Biennale. Das liegt daran, dass sie besonders aktuell sind. Oft werden die zu zeigenden Arbeiten erst in letzter Minute fertiggestellt, die genauen Inhalte sind nicht bekannt. Hier ist es besonders wichtig, nicht nur auf das Einzelwerk zu schauen, sondern sich möglichst früh vorab mit den sich überlappenden Diskursfeldern und ihren politischen Implikationen zu befassen.
- Dann kommen die Hochschulen. Besonders die Kunsthochschulen sind geradezu Labore für identitätspolitische Konflikte, die Studierenden kommen aus verschiedenen Kulturen, sie haben ein hohes Bewusstsein der Problematik und sind häufig politisch aktiv. Hier wäre es gut, hochschulintern neue Konfliktformate anzubieten, damit die Differenzen verhandelt werden können.
- Darauf folgen Museen, Bibliotheken und Theater, die aktuelle Programme anbieten und den Anspruch haben, den Diskurs mitzubestimmen. Vor allem Gruppenausstellungen und Inszenierungen politisch besonders profilierter Künstler:innen können Sprengstoff bergen. Im Idealfall sprechen die Kurator:innen und Intendant:innen mit den Künstler:innen nicht nur über ihre Arbeit, sondern erarbeiten auch einen gemeinsamen Plan, wie man mit heiklen Themen umgeht.
In jedem Fall ist es ratsam, sich für die eigene Positionierung zu umkämpften Themen mehr Zeit zu nehmen, als das traditionellerweise der Fall war. In der kultur{}botschaft haben wir Methoden entwickelt, wie man durch frühzeitige Analyse der Diskursfelder und digitale Wachsamkeit solche Eskalationen vermeiden kann. Wir bieten dazu im April auch ein Bootcamp an, eine zweitätige Schulung für Mitarbeitende der Häuser, mehr hier.

Ralf Schlüter
Hi, mein Name ist Ralf, mich triffst du normalerweise in Museen, in Buchläden oder bei Konzerten. Ich bin Mitgründer von kultur{}botschaft, Berater und Kulturjournalist.