Für viele Parteien spielt die Kultur im Wahlkampf eine nebensächliche Rolle. Die AfD hingegen propagiert tiefgreifende Veränderungen. Welche Agenda verbirgt sich hinter ihrem kulturpolitischen Programm? Welche Rolle spielt dabei das Digitale? Und wie können Kulturschaffende dem Rechtspopulismus etwas entgegen setzen?
Am 9. Juni wird das Europäische Parlament gewählt. Während sich in den Wahlprogrammen manch anderer Parteien nur vereinzelte Ideen zur Kultur finden, widmet die AfD der Kulturpolitik ein eigenes Kapitel. Sie hat eines richtig erkannt: Die Kultur prägt unser Weltbild. Somit eignet sie sich bestens, um eine rechte Kulturwende begrifflich und ideologisch vorzubereiten.
Ein Blick in das Wahlprogramm der AfD zeigt, was die Partei in der Kultur vorhat. Sie arbeitet unter anderem mit diesen beiden Kern-Annahmen:
Der Missbrauch der Idee der kulturellen Vielfalt
"Der kulturelle Reichtum Europas liegt in der Vielfalt seiner Traditionen, Sprachen und Regionen.” Dieser erste Satz zur Kulturpolitik der AfD klingt zunächst positiv – als stünde die Partei für kulturelle Vielfalt ein. Doch dann folgt der Haken: Es wird behauptet, die EU verfolge das Ziel, die “europäische Vielfalt in einer künstlich geschaffenen Einheitskultur aufzulösen”. Das impliziert, dass die EU eine homogene Kultur erzwingen wolle, die zum Verlust des Kulturerbes führen könnte. Diese vermeintliche Sorge um das Kulturerbe wird so zum Vorwand für die nationalistische Ideologie der Partei.
Der Grundtenor der Kulturpolitik der AfD lautet etwa so: Es gäbe eine ursprüngliche deutsche (kulturelle) Identität, die erhalten werden soll. Ihr Gegner ist ein weltoffener, pluralistischer Kulturbetrieb.
"Schuldkultur" und die Restitution von Kulturgut
In ihrem Wahlprogramm lehnt die AfD die Aufarbeitung der europäischen Kolonialgeschichte ab. "Die Schuld- und Schamkultur, wie sie die postkolonialistische Ideologie in ganz Europa etablieren will, wird den historischen Tatsachen nicht gerecht. Wir lehnen sie deshalb ab."
Koloniale Verbrechen werden so geleugnet oder zumindest stark relativiert. Damit begründet ihre Ablehnung der Restitution geraubter Kulturgüter.
Die Kultur wird instrumentalisiert, um nationalistische Ideen zu verbreiten
Ganz neu sind diese Forderungen nicht. Im Januar 2023 stellte die Bundestagsfraktion der Partei einen Antrag an den Deutschen Bundestag mit dem Ziel, die Kulturpolitik grundlegend neu auszurichten und die „deutsche Identität" zu verteidigen. Die Förderung aller Projekte zu folgenden Themen solle eingestellt werden: Postkolonialismus, Diversität, Chancengleichheit, Geschlechtergerechtigkeit und Klimawandel.
Der Antrag der AfD wurde abgelehnt. Trotzdem gibt er einen Vorgeschmack darauf, was auf die Kultur zukommen könnte, wenn die AfD mehr Macht erhielte.
In der politischen Werbung setzt die Partei stark auf die sozialen Medien. Die AfD ist auf nahezu allen Social-Media-Plattformen extrem erfolgreich, besonders auf TikTok erzielt sie hohe Reichweiten. Da ihr eigener Kanal verboten wurde, streut sie ihre Inhalte über etliche Einzelaccounts auf die Plattform – die gehören zu Abgeordneten, Parteimitgliedern und anderen Sympathisant:innen.
Rechtspopulistische Angriffe im Digitalen können auch Kulturhäuser treffen
Auch Kulturinstitutionen können zur Zielscheibe rechtspopulistischer Angriffe im Digitalen werden. Das zeigt ein Fall aus dem Herbst 2023 in der Dortmunder Zeche Zollern. In der Ausstellungswerkstatt "Das ist kolonial" ging es um Spuren der deutschen Kolonialgeschichte in Westfalen. Als Teil des Projekts wurde ein "Safer Space" eingerichtet, der jeden Samstag für vier Stunden für BiPoc reserviert wurde. Der Space sollte Menschen mit Rassismus-Erfahrung ermöglichen, sich in einem geschützten Rahmen mit den Inhalten der Werkstatt auseinanderzusetzen.
Der Gegenwind von rechts ließ nicht lange auf sich warten. Auf der Plattform X äußerte sich die rechte Bundestagsabgeordnete Joana Cotar : "Wenn Weiße in Deutschland zu bestimmten Zeiten nicht ins Museum dürfen... Rassismus in Dortmund. Unfassbar. #ZecheZollern". Unter dem Stichwort "Rassismus gegen Weiße" wurde das Thema daraufhin von anderen rechtslastigen Seiten verbreitet, dann berichteten auch die klassischen Medien darüber. Auf der höchsten Eskalationsstufe wurde das Eingangstor mit rechten Parolen beschmiert, die Räume standen eine Zeit lang unter Polizeischutz.
Der Fall zeigt, wie gefährlich es enden kann, wenn Kulturinstitutionen von Populist:innen unter Druck gesetzt werden. Oft beginnt es im Digitalen, dann springt es über auf die analoge Sphäre. Die digitale Sphäre darf Populist:innen daher nicht einfach überlassen werden.
So kann die Kultur im Digitalen gegen Rechtspopulismus einstehen
Es lohnt sich also, Gegenstrategien zu kennen. Hier kommen einige Tipps, mit denen Kulturinstitutionen und Kulturakteur:innen den Diskurs im Netz aktiv mitgestalten und gegen Rechtspopulismus einstehen können.
1. Auf viele Stimmen setzen
Um sich Rechtspopulismus im Digitalen zu stellen, müssen sich viele Stimmen mobilisieren und miteinander vernetzen. Ob Kulturinstitutionen, politische Organisationen oder Einzelpersonen – hier gilt: Je mehr, desto besser.
2. Populistische Begriffe nicht reproduzieren
Oft verwenden Populist:innen euphemistische Begriffe, die die tatsächlichen Absichten verschleiern sollen. Wer die Begriffe aufgreift und verbreitet, trägt dazu bei, dass sie normalisiert werden. Stattdessen sollten eigene Narrative gesetzt werden.
3. Plattformgerecht kommunizieren
Damit die eigenen Inhalte auf den Social-Media-Plattformen erfolgreich sind, sollten diese so genutzt werden, dass es den Bedürfnissen der User:innen entspricht. Auf TikTok bedeutet das beispielsweise, auf Authentizität zu setzen, anstatt von oben herab zu dozieren.
4. Die “schweigende” Mehrheit zeigen
Plattformen wie TikTok können genutzt werden, um zu zeigen, dass es eine breite Masse gibt, die dem Rechtsruck entgegensteht. Ein Beispiel hierfür ist das Teilen von Videos, in denen Menschen für ein demokratisches Miteinander demonstrieren.
5. Mitdiskutieren
Der Diskursraum muss dauerhaft bespielt werden, damit populistische Stimmen ihn nicht ohne Weiteres einnehmen können. Das bedeutet, auf den Plattformen mit zu diskutieren – auch wenn es einem vielleicht manchmal mühsam vorkommt.
Das düstere Bild, das wir hier zeichnen, ist leider keine ferne Theorie. Im September wird in Thüringen, Sachsen und Brandenburg jeweils ein neuer Landtag gewählt und das Szenario einer regierenden AfD könnte zur Realität werden. Deshalb ist es gerade jetzt wichtig, dass sich Kulturakteur:innen im digitalen wie analogen Raum engagieren, vernetzen und gegen Rechtspopulismus und -extremismus aktiv werden.
📺 »Decoding Populism«: In dieser LunchLab Session haben Karin Bjerregaard Schlüter und Ralf Schlüter darüber gesprochen, mit welchen Strategien Populist:innen im Digitalen arbeiten, was andere Parteien auf TikTok falsch machen, und wie Kulturschaffende im Netz mit Populismus umgehen können.
Olá! Mein Name ist Anaïs, ich interessiere mich für alles rund um die Kunst, besonders für die Schnittmenge mit dem Digitalen.
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